Es
gab eine Zeit, in der ich selbst kaum Geld zur Verfügung hatte und
mit dem auskommen musste, was „Vater Staat“ den Mittellosen
zugesteht. Das ist wahrhaftig nicht viel, es reicht so eben zum
Überleben – aber ich war dennoch dankbar, dass wir in Deutschland
diese Unterstützung bekommen und nicht (wie beispielsweise in
Amerika) auf der Straße leben und betteln müssen.
Eines
Tages ging ich wieder einmal in die Stadt zum Einkaufen, da sah ich
an einem Laternenpfahl einen sehr jungen Mann auf der Erde sitzen,
mit gesenktem Kopf, im Schneidersitz, ziemlich heruntergekommen und
offensichtlich in der Hoffnung, dass ihm etwas Geld gegeben werden
würde. Auch wenn man ja häufiger einmal Bettler irgendwo sitzen
sieht, so war ich von diesem Bild doch besonders ergriffen. Nicht,
weil es kalt war und der junge Mann bestimmt fror – nein, es war
etwas Anderes, etwas Ungewöhnliches, das ich weder erklären noch
beschreiben konnte. Ich ging also an diesem stillen Bettler vorbei,
und legte ihm dabei einige Münzen in seine Mütze. Der junge Mann
sah auf, bedankte sich höflich – und ich sah in 2 strahlend-blaue
Augen, die sehr viel Tiefe verrieten und eigentlich fröhlich gucken
wollten.... Nun war ich noch mehr irritiert – lächelte ihn an,
ging jedoch weiter. Beim nächsten Gang zum Einkaufen sah ich den
jungen Mann wieder an dem selben Pfahl in der selben Haltung dort
sitzen. Diesmal konnte ich nicht einfach an ihm vorbei gehen – ich
ging direkt auf ihn zu, hockte mich neben ihn und sprach ihn an:
„Darf ich Sie mal etwas fragen?“
Ich
werde nie den Blick vergessen, mit dem mich die 2 leuchtend-blauen
Augen erstaunt ansahen: Es lag neben dem Erstaunen so viel
Dankbarkeit und so viel Freude in dem Blick, dass mir ganz warm ums
Herz wurde. Er willigte ein und ich fragte ihn nach seiner
Geschichte, warum er hier saß. Bereitwillig erzählte Bodo (Name
geändert) mir nun in aller Kürze seine umfangreichen Erfahrungen
und ich verstand, was ihn dazu getrieben hatte, zu betteln. Aus
mehreren Gründen bekam Bodo weder Wohnung noch Geld und musste mit dem, was er am Leib trug,
auf der Straße vor sich hin vegetieren. Eigentlich
unvorstellbar bei uns in Deutschland, aber in diesem Fall doch
offensichtlich so geschehen. Ich nahm echten Anteil an seiner
Geschichte, konnte ihm noch einige Tipps geben, an wen er sich noch
wenden konnte, ließ wieder einige Münzen bei ihm, verabschiedete
mich und ging weiter. So ging es etliche Wochen, mehrmals die Woche
„besuchte“ ich Bodo, wir unterhielten uns über seine Erlebnisse
und seine Träume, wie es für ihn weiter gehen sollte – denn Bodo
hatte keinesfalls aufgegeben. Das momentane Problem für ihn war,
dass er aufgrund seines heruntergekommenen Äußeren keine Arbeit
fand und die Behörden eben sehr lange brauchten, um die richtige
„Versorgungsquelle“ für ihn zu finden. Bodo hatte ganz klare
Vorstellungen, wie sein Weg weiter gehen sollte, wo er in welcher
Position arbeiten (er war ein studierter Mann) und wie er leben würde
– er wusste nur noch nicht, wie er das alles realisieren könnte.
Es hat mich tief beeindruckt, dass ein Mensch in seiner Lage noch so
selbstbewusst, so zielgerichtet, so voller Hoffnung und Dankbarkeit
sein kann. Da ich ja selber mit sehr wenig zurecht kommen musste und
mir das schon schwer fiel, konnte ich mir ungefähr vorstellen, wie
schlimm es sein muss, 4 Euro zusammen zu betteln, nur um einmal bei
der Heilsarmee eine Nacht in einem Bett zu verbringen oder einmal
duschen zu können! Ganz abgesehen davon, dass man ja auch essen und
trinken muss, um zu überleben... wirklich hart! Aber für Bodo war
es viel wertvoller, Menschen zu treffen, die ihn wahrnahmen, die ein
nettes Wort für ihn hatten und ihn nicht ignorierten.
Aufgrund
der Einstellung, die Bodo mir zeigte, kam mir ein Gedanke: ich würde
ihm ein Buch schenken. Natürlich nicht irgendein Buch, sondern eins
von Walsch: „Gemeinschaft mit Gott“. Ich hatte es selbst
kurz zuvor noch einmal gelesen und fand darin sehr viel Trost und
Kraft – daher hoffte ich, dass es Bodo ebenso stärken könnte.
Gedacht – getan, ich schrieb ein paar Zeilen als Widmung in das
Buch packte es hübsch ein und brachte es Bodo. Seine Freude war
ebenso groß wie seine Überraschung! Wir unterhielten uns wieder
einige Zeit und ich erzählte ihm, warum ich ihm dieses Buch schenken
möchte. Bodo hielt das Buch wie einen Schatz in seinen Händen und
streichelte den Einband. Nach einer Weile des Schweigens bat Bodo
mich, am übernächsten Tag wieder zu kommen, er wolle mir auch etwas
schenken. Stellen Sie sich das einmal vor: ein Mensch der nichts hat,
will etwas schenken! Ich versuchte, abzuwehren und sagte ihm, dass
mir seine Gesellschaft, seine Freude, seine kraftvolle Hoffnung doch
schon so viel bedeute, dass ich nichts weiter bräuchte. Doch er
bestand darauf - und als ich am übernächsten Tag wieder bei ihm war,
gab er mir das Einzige, was ihm von seiner Großmutter noch geblieben
war: einen Kettenanhänger! Ich war zu Tränen gerührt und mochte
das Geschenk nicht annehmen, wollte Bodo aber auch nicht enttäuschen.
Dieser Anhänger hat einen ganz besonderen Platz bei mir bekommen...
(Bodo
verriet mir bei diesem Treffen, dass er ein paar ganz wenige
Habseligkeiten im Wald versteckt hatte.)
Es
war eins unserer letzten Treffen, denn nun war es für Bodo an der
Zeit, aufzubrechen in die Stadt, in der er arbeiten wollte. Sollte er
wider Erwarten keine Arbeit bekommen, so würde er zurückkehren,
versprach er.
Ich habe Bodo nie wieder gesehen. Ich hoffe – nein,
ich bin überzeugt, er hat seinen Weg gefunden und ist glücklich!
Wer
nichts hat und dennoch gibt ist ein glücklicher und reicher Mensch!
Mit
herzlichen Grüßen,
Ihre
Elke v. Spiczak